Gedichte


Mein erster Gedichtband „Sandoasen (Israelisches Album)“ ist ein literarischer Streifzug durch Israel. Die 27 Gedichte des Bandes sind verschiedenen Städten gewidmet – Jerusalem, von den drei großen Religionen umgarnt, Tel Aviv, wild und hedonistisch, aber auch staubigen Wüstenstädten, beschaulichen, von Pilgerströmen aufgeschreckten Örtchen. Wolkenfelds Städteporträts sind farbenfrohe Abzüge einer Wirklichkeit, die es zu hinterfragen gilt, Momentaufnahme und Milieustudie, Anekdote und Kommentar, ein Album höchst ungewöhnlicher Bilder, Collagen ganz verschiedener Orte, Zeiten und Personen. So treten auf: Männer in Fledermausgarderobe, Grapefruitmuezzine, Johannes, noch mit Kopf, Oligarchenweibchen im Pastell der Wechseljahre, albern gackernde Engel, Meerjungfrauen und Cäsaren.
Die folgenden drei Gedichte sind dem Band entnommen. “Sandoasen (Israelisches Album)” erscheint am 9.Juli 2021 im Verlag der 9 Reiche und kann im Buchhandel erworben oder direkt über den Herausgeber neunreiche[at]aol.com oder über den Autor bestellt werden: gabriel.wolkenfeld[at]gmx.de.

Herausgeber: ‎ Verlag der 9 Reiche; 1. Edition (9. Juli 2021)
Sprache: ‎ Deutsch
Taschenbuch: ‎ 32 Seiten
ISBN-10: ‎ 3948999023
ISBN-13: ‎ 978-3948999025
Preis: 9 EUR + 1,55 EUR Versandkosten

Jerusalem I
 
Meist grußlos fegen die Mauersegler den Betenden die
Kippot von den Köpfen. Verschwinden in fingerbreiten Sekundenhotels,
aus Jerusalemstein ohne Applikationen, mit Insektensnackbar.
Die Orthodoxen unter den Vögeln, meinen die einen. Schließlich
haben sie unter allen Gemäuern die Western Wall ausgewählt.
Schreiende Blitze, behaupten die anderen, Frevler. Die ernähren sich
von den Gesuchen der Gläubigen. Nein, nein, meinen die einen.
Die kleiden nur ihre Nester aus, mit den Nöten der Leute, die
ganz ohne göttlichen Beistand nicht auskommen. Die teilen
die Hoffnung unter drei hungrigen Mündern auf. Die Zettelchen
der Touristen sind bei den Mauerseglern unbeliebt: Ihre Träume,
meinen die einen, setzen sich aus den falschen Zutaten zusammen.
Sind im falschen Alphabet verfasst, behaupten die anderen.

Haifa
 
Beiwohnen a) dem Singsang der slawischen Sprachen
b) den Explosionen des Hebräischen, dem Röcheln und
Zucken, dem Wüten und Würgen, dem Schmeicheln und dem
Streicheln c) dem Gurren des Arabischen d) dem Quaken
des Amerikanischen. Schreib in deinem Lieblingsalphabet
in Schönmädchenschrift deinen Namen in den Sand
und überlass ihn den Wellen. Erheb keinen Anspruch auf
deinen Schatten. Einmal kehrt auch er dir den Rücken. So
lass ihn ziehen. Teile, was sich vermehren soll. Verschenke,
was zum Begehren taugt. Stelle dich gut mit dem Wiedehopf.
Beziehe die Katzen in dein Gebet ein. Fröne den Schakalen.
Verherrliche die Salamander. Wir wollen in hängenden Gärten
zu Hause sein, nicht eingekerkert in Einwegkörpern, 
heruntergewirtschaftet in dreißig Jahren. Amen. Amen.

Tel Aviv I
 
Zu kurz für ganze Sätze. Zu salzig das Meer auf seinen Lippen,
da empfiehlt sich kein Kuss. Rauschendes Altneuland, im Tonfall
der Wellen, von der Lautstärke eines um seine Königin gebrachten
Bienenschwarms. Mehr Mut zu unreinen Reimen, Gedanken, die lose
im Wind flattern, mit leicht ausgefransten Gänseblümchenköpfen,
und von der subventionierten Sorte: das Glück. Nicht steril.
Lässt sich nicht abfüllen, nicht konservieren. Sprechen wir lieber
nicht von der Halbwertszeit der Liebe. Schwer zu proportieren: die
Zuneigung unserer Mitmenschen. Ein Hoch auf die Brüllaffen vom
Carmel-Markt, das Karamell der Datteln, das Granatapfelrot der
Blutorangen. Vom Hilton runter nach Jaffa: Ein Hoch auf die Kerle,
die großzügig auf Textilien verzichten und ihre Muskeln ausstellen,
Öl auf Leinwand. Ein Hoch auf diese leicht verwüsteten
Schönheiten in den frühen Morgenstunden mit Kaugummiatem
und verklebten Wimpern, Meerjungfrauen ohne Fischanteil.

Sätze, die wir von Diktatoren nicht hören werden
 
Sorry, mein Fehler. Ich hätte das nicht tun sollen. Und das
auch nicht. Du zuerst. Ich trage die volle Verantwortung.
Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich alles
besser machen. Mich interessiert Ihre ehrliche Meinung.
Ich höre. Das macht nichts. Das kann doch jedem einmal
passieren. Verhindert? Kein Problem. Ich gedulde mich gern.
Ich probiere es später noch einmal. Wir sind eine große
Familie. Eine Frau könnte diesen Posten doch genauso gut
übernehmen. Wir sind stolz auf unsere Schwulen und Lesben.
Unsere Minderheiten verdienen Respekt. Unsere Nachbarn
sind unsere Freunde. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?
Wir könnten die Militärausgaben senken und stattdessen
in Bildung und Soziales investieren. Sind die Stimmen schon
ausgezählt? Gibt es bereits erste Hochrechnungen? Ich
gratuliere Ihnen zum Sieg. Ich weiß, dass du es kannst.
Ich vertraue dir. Ich liebe dich mehr als mein eigenes Leben.

Lwiw III
 
Der Markt, wo wir standen, ich wollte
es dir nicht sagen, wurde auf einem Friedhof
errichtet.
 
Süß schmeckten die Aprikosen, überhaupt nicht
nach Asche.
 
Ich durfte probieren.

Odessa I
 
Stauberrichtet und schlammfixiert, Akazienhimmel, dein
Meer von Aiwasowski kopiert, oder umgekehrt, ich
hatte den Maler für einen Hochstapler gehalten, zähneknirschend
bin ich durch Galerien gelaufen, und habe andere Künstler
besser gefunden, zu weniger gefälligen Göttern gebetet.
Heute, Sand zwischen den Zehen, habe ich beschlossen, nicht
dorthin zurückzukehren, wo Urkunden meine Existenz
skizzieren. Ich werde mich neu belesen, werde das muntere
Plappern der Mädchen, das Geschrei der Kinder, das, vom
Rauschen der Wellen gedämpft, an meine Ohren weht, als Gespräch
akzeptieren. Ich werde mich von Zuckermais und Garnelen
ernähren, und Landschaft werden, braun und verwegen.
 
Tscherniwzi II
 
Gelb leuchten die Granaten, und wippen, in
schilfgrüne Kokons gehüllt, auf
den Feldern.
 
Die Vögel kennen eine dritte Silbe: Ku-ku-ruz.
 
Die Großmütter haben endlich
Empfang. Niemand, auch auf den Datschen nicht,
muss mehr verpassen, wenn sich hier
oder anderswo wer die Köpfe
einschlägt.
 
Sonst ist alles beim Alten: Der Sommer fegt
die Straßen.
 
Die Jungs hocken in stickigen Hinterhöfen, oder
trinken auf okkupierten Spielplätzen, grüne Hälse ragen
aus ihren Plastiktüten, Scherben blühen im
Gras, schönere Anemonen.
 
Wer es sich leisten kann, führt sein Mädchen
zu McDonalds aus, oder zum Subway. 
 
Ob auf Straßen oder Feldern, auf dem
Bischofsberg, im Kiesbett des Pruth, überall
riecht es nach Sperma, süße Fäulnis, die Verlangen
weckt, und Kopfweh bereitet.

Liegend ein Universum erschaffen, ohne vorher je
ein Buch gelesen zu haben, Kind sein, ohne einer Familie
anzugehören, Kleider tragen aus Wasserfall und
Wüstensand, den eigenen Namen in einer fremden Sprache
wiederfinden, den Geliebten im Darkroom am
Widerstand seiner Bartstoppeln erkennen, bevor
es zu spät ist, ein Instrument lernen, Triangel, Panflöte, das
Kaddisch sprechen für den Freund, der mir nie
begegnet ist, mit dem Regen ein Bild malen, und mit
Tränen unterzeichnen, dann absichtlich falsch
abbiegen in den letzten Minuten einer Mondfinsternis.

Rechte liegen beim Autor.